Unsicherheit im Außen erfordert Geborgenheit im Innen
Im Dezember 2020 wurde ich von der Presse um meine Meinung zu den Wohntrends 2021 gefragt und, ob sich die aktuelle Pandemie auf das Interiordesign auswirkt.
Gemütlichkeit statt Minimalismus
In meiner täglichen Arbeit merke ich tatsächlich eine Veränderung der Kundenwünsche.
Vor einigen Jahren wollten alle (Anm.: natürlich etwas übertrieben) „Scandi“, das in Österreich meist Weiß-Grau-Holz mit Eames-Chairs und ein paar Fellen bedeutet hat. Gut, über das sind wir längst hinweg – spätestens seit diverse Möbelhäuser und Diskonter diesen Stil für sich entdeckt haben und es mehr Repliken des Eames-Chairs als Originale gibt.
Dann kam – wohl auch von Marie Kondos durchaus motivierenden Aufräum- und Ausmist-Anleitungen inspiriert – der „Minimalismus“. Weniger ist mehr, auch beim Einrichten, sagte man uns. Besonders bei Menschen, die tagsüber viel um die Ohren haben, in vollen Büros stressigen Jobs nachgehen oder auch Müttern, denen einfach mal „alles zu viel“ wird, war dieses Platz-machen und Reduzieren willkommen. Hatte man tagsüber ohnehin schon so viele Eindrücke zu verarbeiten, wollte man abends daheim in eine ruhige, möglichst reizarme Umgebung. Kombiniert mit ein paar Vintage-Stücken, war der Look fertig.
Rückbesinnung und Sicherheit sind jetzt gefragt
Doch aktuell haben sich die Zeiten geändert. Die meisten von uns sind – zwangsläufig – mehr daheim als draußen. Wir sind derzeit nicht in überfüllten Öffis unterwegs, laufen nicht gehetzt durch Büroräume oder von Meeting zu Meeting (wenn dann virtuell), stehen nicht stundenlang im Stau, umgeben auch noch von der Hektik und dem Stress der Anderen.
Die Zeiten sind unsicher/er geworden – viele wissen nicht, wie es weitergehen wird, was auf uns alle zukommt. Und so ist es auch wieder gut erklärbar, dass man im Innen, also im Interior, dort, wo man Kraft schöpft, nach mehr Geborgenheit sucht.
Das äußert sich darin, dass die Räume nun wieder mehr Persönlichkeit ausstrahlen dürfen. Wir sehnen uns nach Gemütlichkeit und diese wird nun mal vor allem durch behagliche Farben, die Kraft geben, weiche Materialien, in die man sich hineinkuscheln kann und sanfte Formen geschaffen.
Hinzu kommt ein seit längerem ohnehin zu beobachtender Trend (vor allem bei „Millennials“) einer Art „Rückbesinnung“ auf alte Werte. Auf das Gefühl, das man bei Oma hatte. Diese Wärme, Geborgenheit und Sicherheit ist es, wonach sich derzeit viele sehnen. Daraus entstanden sind die im Artikel auch erwähnten Interiortrends „GrandMillennial“ oder „Granny Chic“ bzw. „Cottage Core“. Beides geht in eine ähnliche Richtung.
Keine Besucher? – Wen möchte man jetzt beeindrucken?
Spannend zu beobachten ist jetzt auch, dass vermehrt auf die eigene Persönlichkeit geachtet wird, wenn man einrichtet. War das Repräsentieren für viele Leute früher maßgeblich für die Entscheidung für einen Einrichtungsstil, kümmert es viele aktuell weniger, was Andere sagen oder denken. Zu zeigen, was man hat und was man sich leisten kann (da spreche ich jetzt von Einrichtungsgegenständen, nicht von Autos o.ä.) rückt derzeit, da man ja ohnehin keine Besucher daheim begrüßen darf, in den Hintergrund. Wo noch vor einem Jahr ein möglichst neutrales, distanziertes und oft kühles, kantiges Design gefragt war, bittet man mich heute, den Räumen mehr Gemütlichkeit zu verleihen. Es wird mit Vorhängen, Stoffen und Kissen gearbeitet. Es darf auch mal was herumliegen oder nicht so „perfekt“ sein. Diese Entwicklung halte ich für durchaus positiv, auch wenn der Hintergrund dafür alles andere als das ist.
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